Sonntag, 3. Juli 2011

Vom Willen zur Blasphemie

Sträflich lange habe ich diesen Blog vernachlässigt, ich weiß. Hoffentlich sind mir nicht schon ein paar Leser flöten gegangen! Heute endlich habe ich mir mal wieder die Zeit für eine ausführliche Buchbesprechung genommen.

Es geht um The Final Testament of the Holy Bible von James Frey. Klingt wie schwere Kost, ist tatsächlich aber leicht zu lesen, zumindest sprachlich… über den Inhalt lässt sich streiten, aber dazu komme ich später. Zunächst ein paar einleitende Worte über James Frey, der hierzulande kaum bekannt ist:

In den USA gilt er als Skandalautor. Grund sind seine beiden ersten Bücher A Million Little Pieces und My Friend Leonard, in denen Frey autobiographisch seine Vergangenheit als Junkie und Krimineller aufarbeitete. Beide Bücher führten in den USA lange die Bestsellerlisten an, bis sich Jahre später herausstellte, dass ein großer Teil seiner Geschichte rein fiktional ist. Das Ganze zog weite Kreise, unter anderem, weil Oprah Winfrey seine Bücher öffentlich empfohlen hatte und ihn in ihrer Show dann mit den Vorwürfen konfrontierte. Er gab offen zu, gelogen zu haben und musste daraufhin den Verlag wechseln…

Zu diesem Skandal ließe sich noch jede Menge mehr erzählen, doch hierbei will ich es zunächst belassen – wer will, kann sich hier ein Video dazu anschauen. Ganz amüsant eigentlich, das Ganze.

2008 schließlich feierte Frey mit Bright Shiny Morning sein Comeback, das ihn als ernst zu nehmenden Autor in der amerikanischen Literaturszene etablierte. The Final Testament of the Holy Bible ist dieses Jahr erschienen und bisher nur auf Englisch erhältlich. Angekündigt auf dem Cover als „his greatest work, his most revolutionary, his most controversial” und so weiter und so fort. Ihr könnt bestimmt nachvollziehen, dass ich neugierig wurde.


Ben ist ein etwas merkwürdiger Typ. Er wohnt als einziger Weißer in einer Gegend in New York, die ansonsten nur von Latinos und Schwarzen bevölkert ist. Er trinkt zu viel, hält nicht viel von Ordnung und Hygiene und scheint eine traumatische Vergangenheit zu haben, über die er nicht spricht. Bis eines Tages eine tonnenschwere Glasplatte bei einem Unfall auf einer Baustelle auf ihn fällt. Unerklärlicherweise überlebt Ben. Und ist verändert: Er verfällt in Starrkrämpfe, in denen er mit Gott spricht. Er strahlt von innen heraus, er erkennt die innersten Ängste eines jeden und vermag sie durch eine einfache Berührung zu heilen. Er spendet Trost und Hoffnung, vor allem jenen, die in der Gesellschaft keinen leichten Stand haben: Den Obdachlosen, den Drogensüchtigen, den Verzweifelten. Der Messias? Alle behaupten es, er selbst äußert sich nicht dazu. Stattdessen lehnt er die Kirche ab, verkündet die nahende Apokalypse: Die Menschheit richte sich selbst zugrunde, überall gebe es Hass, Missgunst, Gier. Liebe allein könne die Welt retten. Gott, wie ihn sich die Menschen vorstellten, gebe es nicht, stattdessen existiere nur eine spirituelle Macht, der die Menschen gleichgültig seien. Deshalb sei das Streben, diesem imaginären Gott zu gefallen, sinnlos. Man ist für sein eigenes Schicksal verantwortlich.

Ben provoziert mit diesen Ansichten, denn er lebt, was er glaubt: Er schläft mit allen, Männern wie Frauen, ordnet sich nicht in das gesellschaftliche System ein, weil er keine Obrigkeiten anerkennt, geht keine Verpflichtungen ein. Das wiederum stürzt all jene religiösen Fanatiker, die in ihm den Messias erkennen und unbedingt erkennen wollen, in Verwirrung und erzeugt Ablehnung. Eine besondere Rolle nimmt hierbei der leibliche Bruder Bens ein, der Kopf einer kleinen, fanatischen Sekte ist und Ben für seine Zwecke einspannen will. Seine Gefühle für Ben sind zunächst ambivalent und schlagen schließlich aus Neid in Hass um.

So stößt Ben alle möglichen Leute vor den Kopf und sammelt dennoch eine große Schar Anhänger um sich, an denen er seine Wunder vollbracht hat. Unweigerlich steuert das Ganze auf ein großes Finale zu, bei dem sich fanatische Religiosität, Sturheit und das erstarrte gesellschaftliche System auf der einen Seite und Bens Verkündung einer Welt voller Liebe und Toleranz auf der anderen Seite krass gegenüberstehen.

Ben ist quasi eine Art Hippieguru (verzeiht die dürftige Wortschöpfung). Seiner Moral kann man nur schwer widersprechen, sie erscheint aber nach einiger Zeit doch recht durchgekaut. Dass religiöser Fanatismus zu einem gefährlichen Tunnelblick führt, dürfte heutzutage ohnehin allgemeiner Konsens sein und Bens Forderung nach mehr Liebe, die häufig in sexuellen Orgien mündet, hat bei der Lektüre zunächst zwar ein amüsiertes Überraschungsmoment ausgelöst, wird auf Dauer jedoch eher ermüdend und wirkt allzu bemüht provokant.

Unsere Gesellschaft, die das Lieben verlernt und sich in starre bürokratische Strukturen geflüchtet hat, wird von Ben verdammt, insbesondere die Politiker und Großindustriellen.  Wunder vollbringt er nur an den "kleinen" Leuten. Diese etwas anarchistische Einstellung wirft die Frage auf, was Ben eigentlich verändern zu können glaubt - letztlich ist von Anfang an klar, dass seine Verzweiflung an der Welt und sein Versuch, sie mit Liebe zu heilen, zum Scheitern verurteilt ist. Der Mensch ist eben Mensch. Fehlbar und schwach.

Zu allem Überfluss erinnert Bens leiblicher Bruder Jakob eher an den biblischen Kain: Er scheint alle negativen Eigenschaften dieser Welt in sich zu vereinen und gerät damit dem unglaubwürdigsten Charakter überhaupt. Seine Bosheit, sein Neid und sein Hass sind derart monströs, dass er den Leser / die Leserin beizeiten nur noch nervt.

Nun ja. Was das Buch jedoch wirklich interessant macht, ist die Tatsache, dass jedes Kapitel aus der Perspektive eines anderen erzählt wird, niemals aus der Sicht von Ben selbst. Da ist Mariaangeles, eine einfache Frau aus dem „Ghetto“, die später Bens feste Lebenspartnerin wird, da sind ein Arzt, ein farbiger Schwuler, eine traurige dicke Frau, ein Obdachloser und viele weitere, die von Ben erzählen. Oft wiederholen sich diese Erzähler in ihren Beschreibungen, jedoch ist Frey die Erzählstimme eines jeden von ihnen so authentisch gelungen, so dass man einige wirklich liebgewinnt. 

Dass Frey mit diesem Buch provozieren wollte, merkt man leider allzu häufig, seine „Schocker“ wirken recht bemüht. Die Figur Ben ist anfangs zwar wirklich faszinierend, steht aber immer am Abgrund zum Klischee vom Oberhippie. Dennoch ist das Buch durchaus interessant und spannend – man will wissen, wie diese Geschichte vom modernen Jesus zu Ende geht, auch wenn man dafür einige etwas anstrengende Wiederholungen in Kauf nehmen muss.

Dienstag, 31. Mai 2011

Du bist, wo du wohnst?

Wie in jeder größeren Stadt, so existieren auch in Frankfurt Klischees über den typischen Bewohner eines Stadtteils. Sie verkörpern alle Eigenschaften, die für diesen Stadtteil als charakteristisch empfunden werden, und das natürlich arg überspitzt. Ob diese Stereotypen tatsächlich den größten Anteil der Bewohner dieses Viertels ausmachen, oder ob es sie überhaupt gibt, sei dahingestellt. 

Die Frage, ob es etwas über jemanden aussagt, wenn er oder sie in diesem oder jenem Stadtteil wohnt, und wenn ja was, taucht immer wieder auf - manchmal stimmen die Klischees, manchmal eben nicht. Ich jedenfalls finde es immer wieder lustig, die Reaktionen zu sehen, wenn ich erzähle, dass ich in Rödelheim wohne. Alle Dazugezogenen zucken mit den Achseln und fragen "wo?", von den alteingesessenen Frankfurtern kommt ein ungläubiger Blick, gekoppelt mit einem gedehnten „Eeeeecht?“. Oder einfach nur das Schlagwort „Rödelheim Hartreim Projekt“, welches mir selbst ehrlich gesagt lange Zeit kein Begriff war. Aber ich mag mein Rödelheim.

So wie Rödelheim als ein bisschen assig gilt, so ist Bockenheim studentisch und multikulti, Bornheim stylish und das Westend reich und elitär. Die Bewohner des Nordends wiederum gelten als erfolgreich, gebildet und kreativ; sie haben mindestens ein Kind und wählen grün. Soweit das Klischee.

Das Nordend. Die Vernetzung in dem Stadtteil ist gut, man redet und tauscht sich aus. So haben sich einige Nordendler gefunden, die alle beruflich in den Printmedien zu Hause sind, und haben das Nordend Magazin gegründet, eine Zeitschrift mit hochwertigem Look, gut geschriebenen Artikeln und dem Ansatz, durchaus auch unaktuelle Themen aufzugreifen. Geld wird mit der Zeitschrift nicht verdient, der Preis von vier Euro pro Heft dient lediglich der Kostendeckung.

Vor kurzem ist die dritte Ausgabe des Magazins erschienen, die ich allen Frankfurtern empfehle, auch den Nicht-Nordendlern, zu denen ja auch ich zähle. Erhältlich an allen Nordend-Kiosks sowie vielen Geschäften im Viertel (eine Liste aller Verkaufsstellen gibt's hier). Besonders gut gefallen mir in dieser  Ausgabe die schönen Fotos von Tänzern der Forsythe-Company, die in den Straßen des Nordends tanzen (Fotografin: Anja Jahn), sowie ein Artikel über Armut im Nordend. Denn auch dort gibt es sie, dort wo sie nicht erwartet wird, nicht ins Bild passt und deshalb häufig nicht gesehen wird. Dass die Macher der Zeitschrift auch solche Themen ansprechen und sich liebevoll-ironisch mit dem eigenen Stadtteil und dessen Image auseinandersetzen, gibt der Zeitschrift einen ganz eigenen Charme. 




Sonntag, 15. Mai 2011

Ein Ort voller Geschichten

Fast hundert Jahre lang war sie Fabrikhalle, heute beherbergt sie das Willy-Praml-Theater: Die Naxoshalle. Einmal pro Woche nutzt der Jugendladen Bornheim den hinteren Teil der Halle. Dann können sich die Jugendlichen künstlerisch austoben und sprayen fantasievolle Kunstwerke auf die hinteren Außenwände sowie auf riesige Leinwände. Die beiden „Galerien“, die sich überhalb des Bühnenraumes des Theaters befinden, sind im Laufe der Jahre zu einer Mischung aus Atelier und Requisitenlager geworden – dort befindet sich heute eine wundersame Sammlung verschiedenster Gegenstände, von einer einzelnen Autotür über eine Schaufensterpuppe bis hin zu vielen, vielen Kunstwerken. Und über allem tanzt der Staub im Sonnenlicht und man fühlt sich wie in eine andere Welt versetzt.
Vor ein paar Jahren habe ich dort mit ein paar Kommilitoninnen eine Installation fürs Studium gemacht. Damals bin ich dem Zauber dieses Ortes erlegen:





Samstag, 7. Mai 2011

Schöne Notizbücher...

... kann man doch immer gebrauchen, oder? Ich hätte da mal einen Tipp:

Das Label Bindewerk stellt hübsche Dinge aus Papier her, von schlicht und praktisch bis bunt und verspielt. Alles in Handarbeit. Zu  absolut fairen Preisen. Hier eine kleine Auswahl:




Dienstag, 3. Mai 2011

Bunt ist das Leben

Da habe ich die Nippon Connection groß angekündigt, und es dann selbst doch nur zu einem  Film dort geschafft: Colorful von Keiichi Hara.

Selbstmord und Prostitution von Minderjährigen - dies seien Themen, die für einen Animationsfilm eher ungewöhnlich seien und dafür gesorgt hätten, dass Colorful in Japan  zwiespältig aufgenommen worden sei, so der Regisseur in einer Videobotschaft, die vor dem Film gezeigt wurde.
Diese dramatische Ankündigung war für mich aus zweierlei Gründen überraschend: Zum einen ist es ja wohl keine Neuigkeit, dass Animationsfilme auch ernste Themen aufgreifen und das nicht erst seit gestern – der Zeichentrickfilm Die letzten Glühwürmchen stammt immerhin aus dem Jahr 1988 und ist einer der heftigsten Antikriegsfilme, die ich je gesehen habe. Zum anderen werden die oben genannten Themen im Film zwar aufgegriffen, spielen jedoch eher am Rande eine Rolle. Sonderlich schockierende Szenen bekommt man nicht zu sehen – insofern ist diese Warnung vor „schwierigen Inhalten“ etwas verwunderlich.
Aber ich greife vor.

Die Seele eines Verstorbenen gelangt ins Jenseits, verbittert und gleichgültig. Dort wird ihr mitgeteilt, sie erhalte die Chance, wieder in den Kreislauf des Lebens zu gelangen. Hierzu wird sie in den Körper eines Jungen verpflanzt, der zuvor Selbstmord begangen hat. Wenn die Seele innerhalb eines halben Jahres herausfindet, welche Sünde sie im letzten Leben begangen hat, erhält sie das Recht auf Wiedergeburt. Dass sie eigentlich gar keine Lust auf diese ganze Prozedur hat und überhaupt nicht scharf darauf ist, wiedergeboren zu werden, wird dabei nicht berücksichtigt. Im Nu findet sich die Seele im Körper des Jungen Makoto wieder und muss dessen Leben wieder zurecht biegen.

Diese Rahmenhandlung ist in den Einzelheiten ziemlich unlogisch, aber das klammern wir jetzt einfach mal aus, da die Grundidee, eine verbitterte Seele in den Körper eines jungen Selbstmörders zu stecken, interessantes Potential bietet.

Es stellt sich heraus, dass Makoto ein trauriger Einzelgänger war, dessen drastischer Schritt zum Selbstmord auf den Entdeckungen beruhte, dass seine Mutter eine Affäre mit ihrem Flamencolehrer (!) hatte und das Mädchen, in das er verliebt war, sich prostituierte, um  "schöne Dinge" kaufen zu können.

Wie Makotos neue Seele langsam lernt, das Leben wertzuschätzen, das ist streckenweise zwar recht langatmig erzählt, bietet  aber auch einige sehr lustige Momente, in denen ein japanischer Humor durchschimmert, der zum Lachen einlädt.

Die Animation ist jedoch leider nicht sonderlich gelungen. Bei Aufnahmen von Straßenzügen und Städten gewinnt man den Eindruck, der Regisseur habe echtes Filmmaterial so bearbeitet, dass es animiert aussehe, während die Figuren selbst sehr unecht und wenig detailliert wirken. 

Als unerträglich habe ich die ständige Musik empfunden, die jeden schönen Moment mit kitschigen Motiven wieder ruiniert. 
Zu guter Letzt wird die Moral, dass man das Leben und sich selbst mit allen Facetten, auch den weniger schönen, lieben sollte, arg überstrapaziert. Gegen Ende des Films war ich regelrecht benommen, als habe man mir eins mit der Moralkeule übergezogen.

Nun ja. Da hatte ich mir doch etwas mehr erhofft. Dem Film zugute halten kann man jedoch die interessante Grundidee und einige wirklich lustige Momente. Und gegen die Einsicht, dass das Leben und die Menschen bunt sind und auch Schattenseiten dazugehören, kann man ja auch nichts einwenden.


Colorful, Regisseur: Keiichi Hara, Japan 2010, 126 min.

Montag, 18. April 2011

Nippon Connection

Es ist wieder soweit! Vom 27. April bis zum 01. Mai findet die mittlerweile elfte Nippon Connection statt. Für  diejenigen unter euch, denen dieser Begriff nichts sagt: Dabei handelt es sich um eines der größten japanischen Filmfestivals überhaupt, ursprünglich von Studenten der Frankfurter Goethe-Uni ins Leben gerufen und bis heute ehrenamtlich organisiert.

Das diesjährige Festival steht natürlich im Zeichen der Katastrophen, die sich in den letzten Monaten in Japan ereignet haben. Die Veranstalter rufen zu Spenden auf und arbeiten mit der Aktion Deutschland Hilft e.V. zusammen. 

Auf jeden Fall ist das Festival einen Besuch wert. In den letzten Jahren habe ich dort immer wieder Filme gesehen, die man sonst nirgends in Deutschland zu sehen bekommt - skurril, lustig oder richtig gruselig, da ist wirklich für jeden was dabei.

Zur Homepage gehts hier
Vielleicht sehen wir uns ja dort - so long!



Montag, 11. April 2011

In the good old days

Eine Redakteurin des Filmportals Negativ hat bei Youtube ein altes Dokumentarfilmchen entdeckt, das die Produktion des ersten langen Walt Disney Trickfilms "Schneewittchen und die sieben Zwerge" im Jahr 1937 begleitete. Unglaublich, welche Arbeit darin steckt! Besonders nett: Die kreativen Methoden der Sound Designer. So einen Job hätte ich auch gern...




Mittwoch, 6. April 2011

Montag, 4. April 2011

Abschied

In einer Lebensspanne von 90 Jahren sieht und erlebt ein Mensch viel. Sich in all dieser Zeit einen offenen, humorvollen und mitfühlenden Blick auf die Welt zu bewahren, ist nicht selbstverständlich.  

Meiner Oma ist dies gelungen. 

Wir müssen uns nun von ihr verabschieden. Dankbar - für so vieles. 

Folgender Text fand sich eingerahmt in ihrem Zimmer. Sie hat ihn gelebt.



Ein Lächeln

Es kostet nichts und bringt viel ein.
Es bereichert den Empfänger,
ohne den Geber ärmer zu machen.
Es ist kurz wie ein Blitz,
aber die Erinnerung daran ist oft unvergänglich.
Keiner ist so reich,
dass er darauf verzichten könnte,
und keiner so arm,
dass er es sich nicht leisten könnte.
Es bringt Glück ins Heim,
schafft guten Willen im Geschäft
und ist das Kennzeichen der Freundschaft.
Es bedeutet für den Müden Erholung,
für den Mutlosen Ermunterung,
für den Traurigen Aufheiterung
und ist das beste Mittel gegen Ärger.
Man kann es weder kaufen noch erbitten,
noch  leihen oder stehlen,
denn es hat erst dann einen Wert,
wenn es verschenkt wird.
Wenn im Trubel des Geschehens
dein Gegenüber, sei es im Geschäft oder im Café,
zu erschöpft sein sollte,
um dir ein Lächeln zu schenken,
so lasse eines von deinen da!
Denn niemand braucht so bitter nötig
ein Lächeln wie derjenige,
der für andere keines mehr übrig hat.

(Autor unbekannt)

Freitag, 25. März 2011

Bunter Überblick Nummer Zwo


Ich kapituliere: Es ist wahrhaftig ein Ding der Unmöglichkeit, jedem Buch und jedem Film eine ausführliche Besprechung zu widmen. Dazu bin ich eine viel zu fleißige Konsumentin. Da euch der Kompaktüberblick, den ich vor einigen Wochen auf diese Seite gestellt habe, ganz gut gefallen zu haben scheint, werde ich einen solchen von nun an regelmäßig verfassen. Und fange heute direkt mal damit an.

Kino
The King’s Speech
Diejenigen unter euch, die in den letzten Wochen nicht komplett hinterm Mond gelebt haben, werden diesen Film bereits kennen oder von ihm gehört haben. Großer Abräumer bei den Oscars und so weiter. Es ist die Geschichte einer Männerfreundschaft zwischen König VI. von England (Colin Firth) und dem Sprachtherapeuten Lionel Logue (Geoffrey Rush), der dessen Stottern behandelt. Basierend auf einer wahren Begebenheit, wie es so schön heißt. Viele Worte möchte ich über diesen Film nicht verlieren: Er ist nett, aber mehr auch nicht. Kritische Töne oder einen Einblick in die englische Politik der 30er Jahre wird man hier vergebens suchen. Stattdessen Fokus auf den König als Privatmann. Den Oscar für Colin Firth kann ich nicht ganz nachvollziehen, besser gefallen hat mir eigentlich seine Königin, gespielt von der unvergleichlichen Helena Bonham Carter.

 Fazit:
Nett. Konventionell. Aber in vielen Szenen eine schöne Bildkomposition.

The King’s Speech; Regie: Tom Hooper; GB, USA 2010; 118 min.

Serie
Boardwalk Empire
Mit dieser Serie kommen wir zum meinem absoluten Highlight der letzten Wochen. Auch sie basiert auf einer historischen Person, nämlich auf Enoch „Nucky“ Thompson, der – halb Politiker, halb Gangster – in den 20er Jahren in Atlantic City über ein kleines Imperium herrschte. Gespielt wird er von Steve Buscemi (!!), und noch ein weiterer großer Name ist an Boardwalk Empire beteiligt: Martin Scorsese führte in der Pilotfolge Regie und produziert die Serie mit.

Nucky Thompson ist natürlich nicht alleiniger Protagonist. Da sind noch Margaret Schroeder, eine junge, verzweifelte Mutter; Jimmy Darmody, ein Schützling Thompsons, der erst vor kurzem aus dem Ersten Weltkrieg zurück kehrte und nun auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist; und Agent Nelson van Alden, der gegen Thompson ermittelt, ihm aber nie etwas nachweisen kann.

Zwischen diesen Protagonisten – und noch vielen weiteren Charakteren, die aber weniger im Zentrum stehen – entspannt sich ein feines Netz der Beziehungen, die immerfort im Wandel sind. Ähnlich wie bei der Mafia-Serie Die Sopranos ist die Hauptfigur schwer zu fassen und weder Identifikationsträger noch Unsympath. Steve Buscemi ist in dieser Rolle wirklich brilliant, aber auch die anderen Schauspieler sind hervorragend, wie etwa Kelly Macdonald als Margaret Schroeder.

Man sieht viele rauchende, Whiskey trinkende Männer mit dunklen Machenschaften, aber dennoch rutschen Charaktere und Handlung nicht (oder nur vereinzelt) ins Klischee ab. Übrigens: Al Capone ist einer der Nebencharaktere – damals noch nicht der erfolgreiche Gangsterboss, sondern noch Chauffeur des Gangsterbosses. Auch eine faszinierende Figur, aus der man nicht recht schlau wird.

Fazit:
Eine aufwändig produzierte Serie mit tollen Schauspielern, die vor allem durch ihre komplexen Charaktere besticht.

Boardwalk Empire; USA 2009 - ?


Film
A Serious Man
Larry Gopnik ist Mathematikprofessor, jüdisch, verheiratet, zwei pubertierende Kinder, Eigenheim. Als seine Frau ihm eines Tages eröffnet, sie wolle die Scheidung, um einen Witwer aus ihrer Gemeinde heiraten zu können, fällt er aus allen Wolken. Stück für Stück bricht seine Welt auseinander – die anscheinend nie so heil war, wie Larry geglaubt hatte. Jedoch interessiert sich niemand für Larrys Elend, da seine Mitmenschen mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind.  In seiner Not sucht er Rat bei drei verschiedenen Rabbis…

Eine sehr schräge Komödie der beiden Coen-Brüder, die wie bei all ihren Filmen nicht nur Regie führten, sondern auch für Drehbuch, Produktion und Schnitt verantwortlich sind. Die Charaktere sind allesamt herrlich skurril und überzeichnet. Nachdem sich gegen Ende des Films die Handlung etwas beruhigt zu haben scheint, kommt noch einmal eine dicke Kehrtwende, die einen mit offenem Mund da sitzen lässt – und schwuppdiwupp, der Film ist aus.

Fazit: Portrait eines Spießers, dessen geordnetes Leben völlig aus den Fugen gerät. Gnadenlos sarkastisch! Mit einem richtig guten, aber richtig fiesen Ende. Sehr kurzweilig.

A Serious Man; Regie: Ethan und Joel Coen; USA 2009; 105 min.

Mittwoch, 16. März 2011

Ein Zeichen setzen

In diesen Tagen verfolgen wir wohl alle besonders intensiv die Nachrichten, die uns aus Japan erreichen. Angesichts der Katastrophe, die bereits dort geschehen ist und der akuten Bedrohung durch einen atomaren Super-Gau können wir nicht viel mehr tun als hilflos zusehen.

Wir haben jedoch die Möglichkeit, ein Zeichen gegen Atomkraft zu setzen, und diese sollten wir nutzen. Als Bürger eines demokratischen Staats ist es nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Verantwortung, aufzustehen und gegen die ständige Bedrohung durch die AKWs zu protestieren. Am Montag haben bereits in ganz Deutschland Mahnwachen stattgefunden, an denen insgesamt ca. 110 000 Menschen teilgenommen haben. Auf der Homepage ausgestrahlt.de findet ihr die Orte, an denen Mahnwachen organisiert werden - schaut mal nach, bestimmt ist euer Wohnort oder ein anderer Ort in der Nähe auch dabei. Die nächste Mahnwache findet wieder am Montag statt. Auf der Seite findet ihr  außerdem viele andere Informationen rund um das Engagement gegen Atomkraft.

Neben den aktuellen Nachrichten aus Japan dürfen wir aber auch die Geschehnisse in der arabischen Welt nicht vergessen. Die Revolutionen gegen repressive Staatsoberhäupter haben bereits viele Menschenleben gekostet, Millionen Menschen leiden akut Not. Auch hier erscheinen uns die Handlungsmöglichkeiten gering, aber durch eine Spende kann viel erreicht werden. Ich bin Mitglied bei der UNO Flüchtlingshilfe geworden, aber es gibt auch andere Organisationen wie Amnesty oder das DRK, die vor Ort sind.
Es ist nicht viel. Aber es ist immerhin etwas.

Montag, 14. März 2011

Die Bürde der Vergangenheit


Mara und Dann von Doris Lessing. Diesen Roman habe ich eher zufällig in einer Kiste mit Mängelexemplaren in einem großen Kaufhaus entdeckt. Ich war vor allem neugierig auf Doris Lessing, über die ich nicht mehr wusste, als dass sie vor einigen Jahren den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte. Lessing, Jahrgang 1919, schrieb Mara und Dann im Alter von bereits 80 Jahren und sie veröffentlicht auch weiterhin bis heute regelmäßig neue Werke, ihr letzter Roman erschien 2008!

Ich erwartete einen schwierigen, anstrengenden Schreibstil, wie das halt meist bei Preisträgern so ist (manchmal denke ich, je verschwurbelter ein Autor schreibt, desto eher heimst er Preise ein. Die Leute scheinen zu denken, dass etwas, das vollkommen unverständlich formuliert ist, besonders intelligent sein muss). Aber in dieser Hinsicht erwartete mich eine Überraschung: Lessings Sprache ist nüchtern und schmucklos, wirkt zuweilen gar nebensächlich, auf die Eigenschaft als Medium für den Inhalt reduziert.

Erzählt wird die Geschichte von Mara und Dann, einem Geschwisterpaar aus der fernen Zukunft. Unsere Gegenwart ist für sie graue Vorzeit, gilt als hoch entwickelte Kultur mit Techniken und Materialien, deren Herstellung und Funktion in ihrer Zeit nicht mehr bekannt sind. Nach einer weiteren Eiszeit leben Mara und Dann in einer uns unbekannten Welt. Das Eis schob sich über die gesamte nördliche Hemisphäre, Kulturen gingen unter, neue entstanden und vergingen erneut. Mara und Dann flüchten vor einer seit Jahren andauernden Dürre vom Süden in den Norden „Ifriks“, jenes Kontinents, den wir Afrika nennen. Sie durchqueren Regionen, die von verschiedenen Völkern und Dynastien beherrscht werden. Das Wissen um die eigene Herkunft, die Geschichte der Menschheit, selbst das Verständnis für die Natur, sind verloren gegangen. In gewisser Weise sind die Menschen wieder in der Steinzeit angelangt, nur Bruchteile unseres heutigen Wissens sind bekannt. Man lebt mit Überresten aus anderen Zeiten, ohne sie zu verstehen. Für Mara ist dies quälend, sie ist getrieben von einem Wissenshunger, von einem Drang zu verstehen, die Vergangenheit zu kennen. Ihr Bruder Dann hingegen kämpft mit eigenen Dämonen, wird häufig beherrscht von alten Traumata, die seine Handlungsweisen bestimmen.

Mara und Dann sind zwei komplexe Charaktere, die sich zwar mehrfach aus den Augen verlieren, aber immer wieder zueinander finden. Die Not, die sie erleben, innere wie äußere, ist mitunter auch für den Leser quälend, wird von Lessing schonungslos und detailreich beschrieben. Aber sich gegenseitig rettend, sind Mara und Dann immer weiter auf dem Weg gen Norden.

Was auf den ersten Blick wie eine Abenteuergeschichte scheint, ist tatsächlich aber viel mehr. Heute leben wir in einem Zeitalter, in dem recht viel über die Geschichte der Menschheit bekannt ist. Dabei ist uns meist nicht klar, dass die Menschheit eigentlich noch jung ist. Mara und Dann leben in Tausenden von Jahren in der Zukunft, und die Vergangeheit, sowohl die eigene als auch jene der ganzen Welt,  ist eine Bürde, die zu schultern Mara sich verpflichtet fühlt. Sie hat einen Drang nach Wissen, der nicht befriedigt werden kann, weil vieles – für uns ganz Selbstverständliches - für immer verloren ist. So ist Geschichte für sie Fluch und Segen zugleich. Zum einen identitätsstiftend: Der Drang nach Wissen um die eigene Herkunft und  nach Verständnis für die Welt zeichnet den Menschen aus und macht ihn zum Menschen. Zugleich empfindet Mara jedoch Scham: Die übermächtigen Kulturen der „grauen Vorzeit“ wussten und konnten so viel mehr. Das zeigt sich besonders im Hinblick auf eine bestimmte Epoche, in der Dinge für die Ewigkeit hergestellt wurden: braune Kittel, Häuser, Töpfe und Kannen aus dieser Zeit sind immer noch in Gebrauch, weil sie nie Abnutzungserscheinungen zeigen. Das macht diese Gegenstände einerseits unermesslich wertvoll, zugleich werden sie jedoch von den Menschen in Maras und Danns Zeit gehasst.  Nicht nur, weil diese Gegenstände als hässlich empfunden werden, sondern weil nichts für die Ewigkeit geschaffen werden sollte, weil die Gegenstände allein durch ihre bloße Anwesenheit die Überlegenheit vergangener Zeiten demonstrieren und Neues durch dessen geringere Qualität immer minderwertig sein wird. Ein Leben im übermächtigen Schatten der Vergangenheit.

Die Geschichte von Mara und Dann ist sowohl auf der Handlungsebene als auch in psychologischer und philosophischer Hinsicht 
ungeheuer interessant und hat mich neugierig auf mehr von dieser Autorin gemacht. Ein wenig habe ich mich bereits kundig gemacht: Lessing scheint sich in ihren Büchern stark mit dem Begriff der Zivilisation an sich beschäftigt zu haben. Ich sollte auch erwähnen, dass sie einen großen Teil ihrer Kindheit im heutigen Simbabwe verbracht hat. In ihrem ersten Roman Afrikanische Tragödie aus dem Jahr 1949 kritisierte sie die Apartheit und erhielt daraufhin ein jahrzehntelang fortdauerndes Einreiseverbot für Simbabwe und Südafrika. Das Thema der Zugehörigkeiten zu bestimmten ethnischen Gruppen  sowie den  daraus resultierenden Konflikten wird auch in Mara und Dann  immer wieder aufgegriffen. Fazit: Die Menschen lernen nichts aus der Geschichte. Sie verdrängen die Geschichte einfach.

Wer ein wenig mehr über Doris Lessing erfahren möchte - hier gehts zum Spiegel-Online Artikel von 2007, dem Jahr, in dem sie den Nobelpreis erhielt. Dort findet ihr einige Angaben zu ihrer Biographie sowie Reaktionen auf die Preisverleihung.

Montag, 7. März 2011

"Und was liest du gerade?"

Ich bin ja immer wahnsinnig neugierig, was die Menschen um mich herum lesen. Ein Buch verrät viel über die Person, die es liest. Schließlich ist Lesen etwas sehr Intimes. Mit einem Buch verbringt man viele Stunden, allein. Und jeder liest anders, setzt das Buch in einen anderen Kontext, versteht es aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus. Weil Lesen keine weiteren Personen erfordert, muss man bei der Auswahl der Lektüre keine Kompromisse eingehen. Na ja, abgesehen von Menschen, die bestimmte Titel lesen, um damit zu beeindrucken. Aber auch das wäre aufschlussreich. Deshalb stelle ich häufig die Frage: „Und was liest du gerade?“.

Besonders gern beobachte ich, was die Menschen in der U-Bahn oder im Bus lesen. Das Interessante ist, dass oftmals Buch und Leser auf den ersten Blick gar nicht zusammen zu passen scheinen. Neulich habe ich eine Dame gesehen, die sehr distinguiert und gebildet wirkte und in einem dicken Schmöker blätterte. Neugierig habe ich mich so lang verbogen, bis ich den Titel entziffern konnte:
Die Nonne mit dem Schwert. Das hat mich echt umgehauen. Noch Tage später musste ich bei dem Gedanken daran kichern.

Einige Zeit später sah ich eine verhärmte, abgekämpft wirkende  Frau, die offensichtlich nicht viel Geld hatte. Sie las Die Eleganz des Igels. Diejenigen unter euch, die das Buch kennen, werden verstehen, weshalb mich das berührt hat. Denn in dem Buch geht es um eine Concierge, die seit Jahrzehnten in ihrer Loge sitzt, einsam, hässlich, arm, aber um ein Vielfaches intelligenter und gebildeter als die reichen Leute, die in ihr nur eine Dienstbotin sehen.

Tja, so leicht lässt man sich vom Äußeren der Menschen blenden, so schnell sortiert man sie in Schubladen ein, ohne es zu wollen. Und wenn man etwas genauer hinschaut, bröckeln die Fassaden. Ich freue mich immer, wenn ein Vorurteil sich nicht bestätigt. Es macht den Alltag so viel spannender. Und auch lustiger.

Ähnlich verhält es sich übrigens mit Musik: Vor kurzem habe ich einen wirklich alten Mann gesehen, aus dessen MP3 Player lauter Techno schallte...

Bestimmt habt ihr so etwas auch schon erlebt - oder?  Wenn ihr Lust habt, schreibt eure Geschichten doch mal auf und postet sie entweder in einem Kommentar und schickt sie mir per Mail. Freue mich über jede Story!

Donnerstag, 24. Februar 2011

Bibliophilie

Bei der Buchbar kann man Produkte bestellen, die alle Leseratten begeistern dürften. Schmunzeln garantiert! Hier sind meine Favoriten:

Bücheruhr

Socken "I Love Reading"

Bookhook

Teapot "Poetry Books"

Freitag, 18. Februar 2011

Machtspielchen

Der ein oder andere mag sich schon gefragt haben, warum ich hier bislang noch gar keine Buchrezensionen veröffentlicht habe, obwohl die meisten von euch ja wissen, wie viel und gern ich lese. Ich gebe zu, dass ich mich ein bisschen davor gedrückt habe, weil ich befürchtete, dem Buch, das ich nun besprechen möchte, nicht gerecht werden zu können. Diese Gefahr besteht natürlich immer noch. Aber jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht:


Wölfe von Hilary Mantel. Man könnte sagen, dies sei ein historischer Roman. Und damit läge man auch nicht falsch. Protagonist ist Thomas Cromwell, Sohn eines einfachen Schmieds, später Staatsmann und Politiker unter König Henry VIII. von England. Zeitraum des Romans: Cromwells politischer Aufstieg von 1528 bis zum Höhepunkt seiner Macht und der Hinrichtung seines politischen Gegners Thomas More im Jahr 1535.

Das Genre des Historienromans neigt ja generell dazu, historische Fakten derart aus dem Kontext zu reißen und neu zu ordnen, bis sie den dramaturgischen Regeln der Trivialliteratur entsprechen. Historisches wird zur Kulisse, zum Schauplatz für die eigentliche Handlung, die meist dermaßen unserem modernen Weltbild entspricht, dass das Ergebnis vielleicht eine nette Liebesgeschichte oder Ähnliches ist, aber nicht mehr viel mit Geschichte zu hat. Ich spreche hier von populären historischen Romanen à la Iny Lorentz etc.
Wenn diese Art von Büchern den "typischen" Historienroman verkörpert, dann sollte man jedoch spätestens nach der Lektüre von Wölfe dieses Genre neu definieren. Denn Mantel schreibt nicht nur mit genauester Sachkenntnis der geschichtlichen Fakten, sondern erweckt den Hof Henrys VIII. zum Leben und bevölkert ihn mit Personen, die unglaublich plastisch und vor allem historisch glaubwürdig wirken. 

Thomas Cromwell wurde häufig als kalter, bislang grausamer Machtmensch beschrieben. Mantels Cromwell ist jedoch viel komplexer, sie deutet diese interessante Figur der englischen Geschichte neu: Durchaus als machtbewussten Strategen, Intrigant und Taktiker. Aber gleichzeitig sensibel, loyal, voller Wärme für seine Mitmenschen, überraschend humorvoll. Obgleich der Leser an seiner Gedankenwelt teilhat, bleibt dieser Cromwell rätselhaft. Immer wenn man glaubt, man kenne ihn nun, überrascht er einen von neuem und entzieht sich einer klaren Charakterisierung. Bis zuletzt fragt man sich, was diesen Mann eigentlich antreibt, was seine Motivation ist. Ist es tatsächlich der reine Machthunger?

Denn Macht ist ein zentrales Thema des Romans. Wie funktioniert sie, wie erlangt und verliert man sie, was für Auswirkungen kann sie haben? Cromwell versteht die Mechanismen der Macht und weiß sie zu nutzen. Er ist ein Tausendsassa: Jurist, Kaufmann, Drahtzieher. Und Chamäleon: Überall fühlt er sich zu Hause, jede Sprache kann er sprechen, nicht nur sämtliche mitteleuropäischen Sprachen, sondern auch die Sprache der einfachen Menschen (er selbst ist einer von ihnen, Sohn eines Schmieds), die Sprache der Gelehrten, die der Politiker, die eines Freundes. Cromwell beherrscht sie alle. Sein geniales Talent offenbart sich im Übersetzen einer dieser Sprachen in eine andere, im Vermitteln zwischen allen Parteien. Jedermann fühlt sich von ihm verstanden. Und Cromwell gelingt es immer wieder, die Menschen zu überreden, das zu tun oder zu glauben, was ihm nützt. Das ist wahre Macht: Die Gabe der Überredungskunst und Manipulation. Darin ist Cromwell unübertroffener Meister. Denn Politik findet in den kleinen Hinterzimmern statt, nicht bei den großen offiziellen Treffen und Festlichkeiten.

Abgesehen von diesem faszinierenden Protagonisten ist Wölfe auch sprachlich einfach großartig. Mantel schreibt im Präsens, was angesichts des historischen Themas ungewöhnlich ist, aber funktioniert: Dadurch wird das Geschehen aktuell und unmittelbar. Die Sprache ist klar, einfach und manchmal von überraschender Poesie und Schönheit. Man muss sich Zeit nehmen für diesen Roman, die Sprache genießen, den richtigen Rhythmus finden.

Mich hat Wölfe sehr beeindruckt. Dieser rätselhafte Mann, für den man Sympathien entwickelt, obgleich man ihn nie richtig verstehen lernt, die verhaltene Schönheit der Sprache, all das hallt in einem nach, auch wenn man die letzte Seite schon vor einiger Zeit zugeklappt hat. 

Angeblich soll Mantel an einer Fortsetzung arbeiten, was sinnig wäre, da Cromwells Geschichte noch längst nicht zu Ende erzählt ist: Der echte Cromwell stieg immer weiter auf bis hin zum Amt des Lord Great Chamberlain, wurde jedoch 1540 als Verräter enthauptet, weil er mit dem Protestantismus sympathisierte.

Noch eine kurze Anmerkung: Schaut auf gar keinen Fall die Serie Die Tudors, während ihr das Buch lest (ich habe sie in meinem letzten Post kurz vorgestellt). Zwar ist der erzählte Zeitrahmen derselbe, aber man kommt nur durcheinander mit den unterschiedlich interpretierten Charakteren. Also wenn euch die Thematik interessiert: Lest lieber das Buch anstatt die Serie zu gucken! Das ist sowohl historisch korrekter als auch einfach viel, viel besser.

Montag, 14. Februar 2011

Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon

Wisst ihr, woran es liegt, dass mein nächster Eintrag immer so lang auf sich warten lässt? Der Grund ist, dass es einfach so verdammt viele gute Filme, Serien und Bücher gibt, dass ich mich schlichtweg nicht entscheiden kann, worüber ich als nächstes schreiben soll.

Und genau aus diesem Grund wird es heute ein wenig kompakter. Ich stelle euch kurz und knapp meine Highlights aus den letzten Wochen vor.

Kino


Natalie Portman spielt im Film Black Swan die ängstliche, gehemmte Ballerina Nina, die zum ersten Mal eine Hauptrolle tanzen darf - sie verkörpert in einer Adaption des Schwanensees sowohl den weißen als auch den schwarzen Schwan. Obgleich sie für die Rolle des weißen Schwans wie geschaffen scheint, stellt der schwarze Schwan eine Herausforderung dar: Nina muss lernen loszulassen und die dunkle Seite in sich wach zu rufen, was ihr als zwanghaftem Kontrollfreak und Perfektionistin nicht leicht fällt. Von ihrer neurotischen Mutter überwacht und angebetet, vom Regisseur verführt und unter Druck gesetzt und von einer Konkurrentin hintergangen, in der sie eine Freundin gewonnen zu haben glaubte,  gestalten sich die Proben bis zur Premiere zu einem einzigen Alptraum, in dessen Verlauf weder Nina noch die Zuschauer mehr zwischen Realität und Halluzination unterscheiden können…
Sehr spannender Film über die Abgründe in einer Seele. Warnung an alle Tanzfilmfans, die nur ein bisschen Ballett sehen wollen: Keine leichte Kost! Viele eklige Szenen! Aber gut, richtig gut.
Black Swan; Regie: Darren Aronofsky; USA; 2010; 103 min.

Film


Der Hype um den Film Das Leben der Anderen ist damals ziemlich an mir vorbeigegangen, vor ein paar Wochen habe ich ihn dann zum ersten Mal gesehen.
1984 in Ostberlin: Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler bekommt den Auftrag, den erfolgreichen Schriftsteller und Dramatiker Georg Dreyman zu bespitzeln, um belastendes Material gegen ihn zu sammeln. In den folgenden Wochen sitzt er in einem improvisierten Büro auf dem Dachboden von Dreymans Haus und verfolgt mithilfe von Überwachungskameras und versteckten Wanzen dessen Privatleben. Ohne die Abhörmaßnahme zu bemerken, üben Dreyman und seine Freundin mit ihrem westlichen Lebensstil und ihren Freiheitsidealen eine große Faszination auf Wiesler aus und er beginnt zum ersten Mal, die DDR-Strukturen infrage zu stellen…
Ein bewegender Film, vor allem durch das sensible Schauspiel des leider bereits verstorbenen Ulrich Mühe. 
Das Leben der Anderen; Regie: Florian Henckel von Donnersmarck; BRD; 2006; 137 min.
 
Serie


Georgia ist 18 Jahre alt und gefrustet von sich und der Welt, als sie von einer glühenden Klobrille aus dem Weltraum erschlagen wird. Von nun an ist sie Angestellte des Todes und dafür verantwortlich, die Seelen der Sterbenden von ihren Körpern zu lösen. Gemeinsam mit ihren drei Kollegen ist sie für die Abteilung „Tod durch Fremdeinwirkung“ zuständig. Das sorgt immer wieder für schräge Situationen, die Georgia mit trockenem Humor kommentiert. Trotzdem ist die Serie Dead Like Me nicht albern, sondern reflektiert durchaus die Absurdität des Todes als bürokratischen Prozess und dessen makabren Charakter.
Für Fans von Pushing Daisies ein Muss!
Dead Like Me - So gut wie tot; USA; 2003-2004; 2 Staffeln

Völlig anderes Genre, völlig anderes Thema:



Henry VIII. dürfte den meisten bekannt sein als der englische König, der sechs Ehefrauen hatte, sich vom Papst lossagte und die anglikanische Kirche begründete. Die Serie Die Tudors erzählt, wie es hierzu kam und beginnt bei der schicksalhaften Begegnung von Henry und Anne Boleyn. In überraschend vielen Details hält sich die Serie an historische Fakten. Einige größere Abweichungen sind zwar festzustellen, aber im Hinblick auf die Dramaturgie zu entschuldigen. Wer sich für Geschichte interessiert, kommt hier auf jeden Fall auf seine Kosten und auch andere dürften hieran Spaß finden: Jede Menge Intrigen, Mord und Totschlag, Liebe, Sex und üppige Kostüme. 
Filmisch jedoch nicht immer einwandfrei: Besonders geärgert habe ich mich bei einer Szene in einer schaukelnden Kutsche, bei der alles, auch die Schauspieler, sehr überzeugend schaukelte - nur das Glas Wein auf dem Tisch stand völlig still da...
Die Tudors; GB, Irland, USA, Kanada; 2007-2010; 4 Staffeln