Freitag, 25. März 2011

Bunter Überblick Nummer Zwo


Ich kapituliere: Es ist wahrhaftig ein Ding der Unmöglichkeit, jedem Buch und jedem Film eine ausführliche Besprechung zu widmen. Dazu bin ich eine viel zu fleißige Konsumentin. Da euch der Kompaktüberblick, den ich vor einigen Wochen auf diese Seite gestellt habe, ganz gut gefallen zu haben scheint, werde ich einen solchen von nun an regelmäßig verfassen. Und fange heute direkt mal damit an.

Kino
The King’s Speech
Diejenigen unter euch, die in den letzten Wochen nicht komplett hinterm Mond gelebt haben, werden diesen Film bereits kennen oder von ihm gehört haben. Großer Abräumer bei den Oscars und so weiter. Es ist die Geschichte einer Männerfreundschaft zwischen König VI. von England (Colin Firth) und dem Sprachtherapeuten Lionel Logue (Geoffrey Rush), der dessen Stottern behandelt. Basierend auf einer wahren Begebenheit, wie es so schön heißt. Viele Worte möchte ich über diesen Film nicht verlieren: Er ist nett, aber mehr auch nicht. Kritische Töne oder einen Einblick in die englische Politik der 30er Jahre wird man hier vergebens suchen. Stattdessen Fokus auf den König als Privatmann. Den Oscar für Colin Firth kann ich nicht ganz nachvollziehen, besser gefallen hat mir eigentlich seine Königin, gespielt von der unvergleichlichen Helena Bonham Carter.

 Fazit:
Nett. Konventionell. Aber in vielen Szenen eine schöne Bildkomposition.

The King’s Speech; Regie: Tom Hooper; GB, USA 2010; 118 min.

Serie
Boardwalk Empire
Mit dieser Serie kommen wir zum meinem absoluten Highlight der letzten Wochen. Auch sie basiert auf einer historischen Person, nämlich auf Enoch „Nucky“ Thompson, der – halb Politiker, halb Gangster – in den 20er Jahren in Atlantic City über ein kleines Imperium herrschte. Gespielt wird er von Steve Buscemi (!!), und noch ein weiterer großer Name ist an Boardwalk Empire beteiligt: Martin Scorsese führte in der Pilotfolge Regie und produziert die Serie mit.

Nucky Thompson ist natürlich nicht alleiniger Protagonist. Da sind noch Margaret Schroeder, eine junge, verzweifelte Mutter; Jimmy Darmody, ein Schützling Thompsons, der erst vor kurzem aus dem Ersten Weltkrieg zurück kehrte und nun auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist; und Agent Nelson van Alden, der gegen Thompson ermittelt, ihm aber nie etwas nachweisen kann.

Zwischen diesen Protagonisten – und noch vielen weiteren Charakteren, die aber weniger im Zentrum stehen – entspannt sich ein feines Netz der Beziehungen, die immerfort im Wandel sind. Ähnlich wie bei der Mafia-Serie Die Sopranos ist die Hauptfigur schwer zu fassen und weder Identifikationsträger noch Unsympath. Steve Buscemi ist in dieser Rolle wirklich brilliant, aber auch die anderen Schauspieler sind hervorragend, wie etwa Kelly Macdonald als Margaret Schroeder.

Man sieht viele rauchende, Whiskey trinkende Männer mit dunklen Machenschaften, aber dennoch rutschen Charaktere und Handlung nicht (oder nur vereinzelt) ins Klischee ab. Übrigens: Al Capone ist einer der Nebencharaktere – damals noch nicht der erfolgreiche Gangsterboss, sondern noch Chauffeur des Gangsterbosses. Auch eine faszinierende Figur, aus der man nicht recht schlau wird.

Fazit:
Eine aufwändig produzierte Serie mit tollen Schauspielern, die vor allem durch ihre komplexen Charaktere besticht.

Boardwalk Empire; USA 2009 - ?


Film
A Serious Man
Larry Gopnik ist Mathematikprofessor, jüdisch, verheiratet, zwei pubertierende Kinder, Eigenheim. Als seine Frau ihm eines Tages eröffnet, sie wolle die Scheidung, um einen Witwer aus ihrer Gemeinde heiraten zu können, fällt er aus allen Wolken. Stück für Stück bricht seine Welt auseinander – die anscheinend nie so heil war, wie Larry geglaubt hatte. Jedoch interessiert sich niemand für Larrys Elend, da seine Mitmenschen mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind.  In seiner Not sucht er Rat bei drei verschiedenen Rabbis…

Eine sehr schräge Komödie der beiden Coen-Brüder, die wie bei all ihren Filmen nicht nur Regie führten, sondern auch für Drehbuch, Produktion und Schnitt verantwortlich sind. Die Charaktere sind allesamt herrlich skurril und überzeichnet. Nachdem sich gegen Ende des Films die Handlung etwas beruhigt zu haben scheint, kommt noch einmal eine dicke Kehrtwende, die einen mit offenem Mund da sitzen lässt – und schwuppdiwupp, der Film ist aus.

Fazit: Portrait eines Spießers, dessen geordnetes Leben völlig aus den Fugen gerät. Gnadenlos sarkastisch! Mit einem richtig guten, aber richtig fiesen Ende. Sehr kurzweilig.

A Serious Man; Regie: Ethan und Joel Coen; USA 2009; 105 min.

Mittwoch, 16. März 2011

Ein Zeichen setzen

In diesen Tagen verfolgen wir wohl alle besonders intensiv die Nachrichten, die uns aus Japan erreichen. Angesichts der Katastrophe, die bereits dort geschehen ist und der akuten Bedrohung durch einen atomaren Super-Gau können wir nicht viel mehr tun als hilflos zusehen.

Wir haben jedoch die Möglichkeit, ein Zeichen gegen Atomkraft zu setzen, und diese sollten wir nutzen. Als Bürger eines demokratischen Staats ist es nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Verantwortung, aufzustehen und gegen die ständige Bedrohung durch die AKWs zu protestieren. Am Montag haben bereits in ganz Deutschland Mahnwachen stattgefunden, an denen insgesamt ca. 110 000 Menschen teilgenommen haben. Auf der Homepage ausgestrahlt.de findet ihr die Orte, an denen Mahnwachen organisiert werden - schaut mal nach, bestimmt ist euer Wohnort oder ein anderer Ort in der Nähe auch dabei. Die nächste Mahnwache findet wieder am Montag statt. Auf der Seite findet ihr  außerdem viele andere Informationen rund um das Engagement gegen Atomkraft.

Neben den aktuellen Nachrichten aus Japan dürfen wir aber auch die Geschehnisse in der arabischen Welt nicht vergessen. Die Revolutionen gegen repressive Staatsoberhäupter haben bereits viele Menschenleben gekostet, Millionen Menschen leiden akut Not. Auch hier erscheinen uns die Handlungsmöglichkeiten gering, aber durch eine Spende kann viel erreicht werden. Ich bin Mitglied bei der UNO Flüchtlingshilfe geworden, aber es gibt auch andere Organisationen wie Amnesty oder das DRK, die vor Ort sind.
Es ist nicht viel. Aber es ist immerhin etwas.

Montag, 14. März 2011

Die Bürde der Vergangenheit


Mara und Dann von Doris Lessing. Diesen Roman habe ich eher zufällig in einer Kiste mit Mängelexemplaren in einem großen Kaufhaus entdeckt. Ich war vor allem neugierig auf Doris Lessing, über die ich nicht mehr wusste, als dass sie vor einigen Jahren den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte. Lessing, Jahrgang 1919, schrieb Mara und Dann im Alter von bereits 80 Jahren und sie veröffentlicht auch weiterhin bis heute regelmäßig neue Werke, ihr letzter Roman erschien 2008!

Ich erwartete einen schwierigen, anstrengenden Schreibstil, wie das halt meist bei Preisträgern so ist (manchmal denke ich, je verschwurbelter ein Autor schreibt, desto eher heimst er Preise ein. Die Leute scheinen zu denken, dass etwas, das vollkommen unverständlich formuliert ist, besonders intelligent sein muss). Aber in dieser Hinsicht erwartete mich eine Überraschung: Lessings Sprache ist nüchtern und schmucklos, wirkt zuweilen gar nebensächlich, auf die Eigenschaft als Medium für den Inhalt reduziert.

Erzählt wird die Geschichte von Mara und Dann, einem Geschwisterpaar aus der fernen Zukunft. Unsere Gegenwart ist für sie graue Vorzeit, gilt als hoch entwickelte Kultur mit Techniken und Materialien, deren Herstellung und Funktion in ihrer Zeit nicht mehr bekannt sind. Nach einer weiteren Eiszeit leben Mara und Dann in einer uns unbekannten Welt. Das Eis schob sich über die gesamte nördliche Hemisphäre, Kulturen gingen unter, neue entstanden und vergingen erneut. Mara und Dann flüchten vor einer seit Jahren andauernden Dürre vom Süden in den Norden „Ifriks“, jenes Kontinents, den wir Afrika nennen. Sie durchqueren Regionen, die von verschiedenen Völkern und Dynastien beherrscht werden. Das Wissen um die eigene Herkunft, die Geschichte der Menschheit, selbst das Verständnis für die Natur, sind verloren gegangen. In gewisser Weise sind die Menschen wieder in der Steinzeit angelangt, nur Bruchteile unseres heutigen Wissens sind bekannt. Man lebt mit Überresten aus anderen Zeiten, ohne sie zu verstehen. Für Mara ist dies quälend, sie ist getrieben von einem Wissenshunger, von einem Drang zu verstehen, die Vergangenheit zu kennen. Ihr Bruder Dann hingegen kämpft mit eigenen Dämonen, wird häufig beherrscht von alten Traumata, die seine Handlungsweisen bestimmen.

Mara und Dann sind zwei komplexe Charaktere, die sich zwar mehrfach aus den Augen verlieren, aber immer wieder zueinander finden. Die Not, die sie erleben, innere wie äußere, ist mitunter auch für den Leser quälend, wird von Lessing schonungslos und detailreich beschrieben. Aber sich gegenseitig rettend, sind Mara und Dann immer weiter auf dem Weg gen Norden.

Was auf den ersten Blick wie eine Abenteuergeschichte scheint, ist tatsächlich aber viel mehr. Heute leben wir in einem Zeitalter, in dem recht viel über die Geschichte der Menschheit bekannt ist. Dabei ist uns meist nicht klar, dass die Menschheit eigentlich noch jung ist. Mara und Dann leben in Tausenden von Jahren in der Zukunft, und die Vergangeheit, sowohl die eigene als auch jene der ganzen Welt,  ist eine Bürde, die zu schultern Mara sich verpflichtet fühlt. Sie hat einen Drang nach Wissen, der nicht befriedigt werden kann, weil vieles – für uns ganz Selbstverständliches - für immer verloren ist. So ist Geschichte für sie Fluch und Segen zugleich. Zum einen identitätsstiftend: Der Drang nach Wissen um die eigene Herkunft und  nach Verständnis für die Welt zeichnet den Menschen aus und macht ihn zum Menschen. Zugleich empfindet Mara jedoch Scham: Die übermächtigen Kulturen der „grauen Vorzeit“ wussten und konnten so viel mehr. Das zeigt sich besonders im Hinblick auf eine bestimmte Epoche, in der Dinge für die Ewigkeit hergestellt wurden: braune Kittel, Häuser, Töpfe und Kannen aus dieser Zeit sind immer noch in Gebrauch, weil sie nie Abnutzungserscheinungen zeigen. Das macht diese Gegenstände einerseits unermesslich wertvoll, zugleich werden sie jedoch von den Menschen in Maras und Danns Zeit gehasst.  Nicht nur, weil diese Gegenstände als hässlich empfunden werden, sondern weil nichts für die Ewigkeit geschaffen werden sollte, weil die Gegenstände allein durch ihre bloße Anwesenheit die Überlegenheit vergangener Zeiten demonstrieren und Neues durch dessen geringere Qualität immer minderwertig sein wird. Ein Leben im übermächtigen Schatten der Vergangenheit.

Die Geschichte von Mara und Dann ist sowohl auf der Handlungsebene als auch in psychologischer und philosophischer Hinsicht 
ungeheuer interessant und hat mich neugierig auf mehr von dieser Autorin gemacht. Ein wenig habe ich mich bereits kundig gemacht: Lessing scheint sich in ihren Büchern stark mit dem Begriff der Zivilisation an sich beschäftigt zu haben. Ich sollte auch erwähnen, dass sie einen großen Teil ihrer Kindheit im heutigen Simbabwe verbracht hat. In ihrem ersten Roman Afrikanische Tragödie aus dem Jahr 1949 kritisierte sie die Apartheit und erhielt daraufhin ein jahrzehntelang fortdauerndes Einreiseverbot für Simbabwe und Südafrika. Das Thema der Zugehörigkeiten zu bestimmten ethnischen Gruppen  sowie den  daraus resultierenden Konflikten wird auch in Mara und Dann  immer wieder aufgegriffen. Fazit: Die Menschen lernen nichts aus der Geschichte. Sie verdrängen die Geschichte einfach.

Wer ein wenig mehr über Doris Lessing erfahren möchte - hier gehts zum Spiegel-Online Artikel von 2007, dem Jahr, in dem sie den Nobelpreis erhielt. Dort findet ihr einige Angaben zu ihrer Biographie sowie Reaktionen auf die Preisverleihung.

Montag, 7. März 2011

"Und was liest du gerade?"

Ich bin ja immer wahnsinnig neugierig, was die Menschen um mich herum lesen. Ein Buch verrät viel über die Person, die es liest. Schließlich ist Lesen etwas sehr Intimes. Mit einem Buch verbringt man viele Stunden, allein. Und jeder liest anders, setzt das Buch in einen anderen Kontext, versteht es aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus. Weil Lesen keine weiteren Personen erfordert, muss man bei der Auswahl der Lektüre keine Kompromisse eingehen. Na ja, abgesehen von Menschen, die bestimmte Titel lesen, um damit zu beeindrucken. Aber auch das wäre aufschlussreich. Deshalb stelle ich häufig die Frage: „Und was liest du gerade?“.

Besonders gern beobachte ich, was die Menschen in der U-Bahn oder im Bus lesen. Das Interessante ist, dass oftmals Buch und Leser auf den ersten Blick gar nicht zusammen zu passen scheinen. Neulich habe ich eine Dame gesehen, die sehr distinguiert und gebildet wirkte und in einem dicken Schmöker blätterte. Neugierig habe ich mich so lang verbogen, bis ich den Titel entziffern konnte:
Die Nonne mit dem Schwert. Das hat mich echt umgehauen. Noch Tage später musste ich bei dem Gedanken daran kichern.

Einige Zeit später sah ich eine verhärmte, abgekämpft wirkende  Frau, die offensichtlich nicht viel Geld hatte. Sie las Die Eleganz des Igels. Diejenigen unter euch, die das Buch kennen, werden verstehen, weshalb mich das berührt hat. Denn in dem Buch geht es um eine Concierge, die seit Jahrzehnten in ihrer Loge sitzt, einsam, hässlich, arm, aber um ein Vielfaches intelligenter und gebildeter als die reichen Leute, die in ihr nur eine Dienstbotin sehen.

Tja, so leicht lässt man sich vom Äußeren der Menschen blenden, so schnell sortiert man sie in Schubladen ein, ohne es zu wollen. Und wenn man etwas genauer hinschaut, bröckeln die Fassaden. Ich freue mich immer, wenn ein Vorurteil sich nicht bestätigt. Es macht den Alltag so viel spannender. Und auch lustiger.

Ähnlich verhält es sich übrigens mit Musik: Vor kurzem habe ich einen wirklich alten Mann gesehen, aus dessen MP3 Player lauter Techno schallte...

Bestimmt habt ihr so etwas auch schon erlebt - oder?  Wenn ihr Lust habt, schreibt eure Geschichten doch mal auf und postet sie entweder in einem Kommentar und schickt sie mir per Mail. Freue mich über jede Story!