Freitag, 18. Februar 2011

Machtspielchen

Der ein oder andere mag sich schon gefragt haben, warum ich hier bislang noch gar keine Buchrezensionen veröffentlicht habe, obwohl die meisten von euch ja wissen, wie viel und gern ich lese. Ich gebe zu, dass ich mich ein bisschen davor gedrückt habe, weil ich befürchtete, dem Buch, das ich nun besprechen möchte, nicht gerecht werden zu können. Diese Gefahr besteht natürlich immer noch. Aber jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht:


Wölfe von Hilary Mantel. Man könnte sagen, dies sei ein historischer Roman. Und damit läge man auch nicht falsch. Protagonist ist Thomas Cromwell, Sohn eines einfachen Schmieds, später Staatsmann und Politiker unter König Henry VIII. von England. Zeitraum des Romans: Cromwells politischer Aufstieg von 1528 bis zum Höhepunkt seiner Macht und der Hinrichtung seines politischen Gegners Thomas More im Jahr 1535.

Das Genre des Historienromans neigt ja generell dazu, historische Fakten derart aus dem Kontext zu reißen und neu zu ordnen, bis sie den dramaturgischen Regeln der Trivialliteratur entsprechen. Historisches wird zur Kulisse, zum Schauplatz für die eigentliche Handlung, die meist dermaßen unserem modernen Weltbild entspricht, dass das Ergebnis vielleicht eine nette Liebesgeschichte oder Ähnliches ist, aber nicht mehr viel mit Geschichte zu hat. Ich spreche hier von populären historischen Romanen à la Iny Lorentz etc.
Wenn diese Art von Büchern den "typischen" Historienroman verkörpert, dann sollte man jedoch spätestens nach der Lektüre von Wölfe dieses Genre neu definieren. Denn Mantel schreibt nicht nur mit genauester Sachkenntnis der geschichtlichen Fakten, sondern erweckt den Hof Henrys VIII. zum Leben und bevölkert ihn mit Personen, die unglaublich plastisch und vor allem historisch glaubwürdig wirken. 

Thomas Cromwell wurde häufig als kalter, bislang grausamer Machtmensch beschrieben. Mantels Cromwell ist jedoch viel komplexer, sie deutet diese interessante Figur der englischen Geschichte neu: Durchaus als machtbewussten Strategen, Intrigant und Taktiker. Aber gleichzeitig sensibel, loyal, voller Wärme für seine Mitmenschen, überraschend humorvoll. Obgleich der Leser an seiner Gedankenwelt teilhat, bleibt dieser Cromwell rätselhaft. Immer wenn man glaubt, man kenne ihn nun, überrascht er einen von neuem und entzieht sich einer klaren Charakterisierung. Bis zuletzt fragt man sich, was diesen Mann eigentlich antreibt, was seine Motivation ist. Ist es tatsächlich der reine Machthunger?

Denn Macht ist ein zentrales Thema des Romans. Wie funktioniert sie, wie erlangt und verliert man sie, was für Auswirkungen kann sie haben? Cromwell versteht die Mechanismen der Macht und weiß sie zu nutzen. Er ist ein Tausendsassa: Jurist, Kaufmann, Drahtzieher. Und Chamäleon: Überall fühlt er sich zu Hause, jede Sprache kann er sprechen, nicht nur sämtliche mitteleuropäischen Sprachen, sondern auch die Sprache der einfachen Menschen (er selbst ist einer von ihnen, Sohn eines Schmieds), die Sprache der Gelehrten, die der Politiker, die eines Freundes. Cromwell beherrscht sie alle. Sein geniales Talent offenbart sich im Übersetzen einer dieser Sprachen in eine andere, im Vermitteln zwischen allen Parteien. Jedermann fühlt sich von ihm verstanden. Und Cromwell gelingt es immer wieder, die Menschen zu überreden, das zu tun oder zu glauben, was ihm nützt. Das ist wahre Macht: Die Gabe der Überredungskunst und Manipulation. Darin ist Cromwell unübertroffener Meister. Denn Politik findet in den kleinen Hinterzimmern statt, nicht bei den großen offiziellen Treffen und Festlichkeiten.

Abgesehen von diesem faszinierenden Protagonisten ist Wölfe auch sprachlich einfach großartig. Mantel schreibt im Präsens, was angesichts des historischen Themas ungewöhnlich ist, aber funktioniert: Dadurch wird das Geschehen aktuell und unmittelbar. Die Sprache ist klar, einfach und manchmal von überraschender Poesie und Schönheit. Man muss sich Zeit nehmen für diesen Roman, die Sprache genießen, den richtigen Rhythmus finden.

Mich hat Wölfe sehr beeindruckt. Dieser rätselhafte Mann, für den man Sympathien entwickelt, obgleich man ihn nie richtig verstehen lernt, die verhaltene Schönheit der Sprache, all das hallt in einem nach, auch wenn man die letzte Seite schon vor einiger Zeit zugeklappt hat. 

Angeblich soll Mantel an einer Fortsetzung arbeiten, was sinnig wäre, da Cromwells Geschichte noch längst nicht zu Ende erzählt ist: Der echte Cromwell stieg immer weiter auf bis hin zum Amt des Lord Great Chamberlain, wurde jedoch 1540 als Verräter enthauptet, weil er mit dem Protestantismus sympathisierte.

Noch eine kurze Anmerkung: Schaut auf gar keinen Fall die Serie Die Tudors, während ihr das Buch lest (ich habe sie in meinem letzten Post kurz vorgestellt). Zwar ist der erzählte Zeitrahmen derselbe, aber man kommt nur durcheinander mit den unterschiedlich interpretierten Charakteren. Also wenn euch die Thematik interessiert: Lest lieber das Buch anstatt die Serie zu gucken! Das ist sowohl historisch korrekter als auch einfach viel, viel besser.

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