Montag, 7. Februar 2011

Plädoyer für die Langsamkeit


Gesichtet: I Am Sam, Regie: Jessie Nelson, 2001, 127 min.

Wer ist Sam? Er hat einen Job bei Starbucks, ist alleinerziehender Vater und tiefbegabt. Sam bleibt Zeit seines Lebens auf dem Entwicklungsstand eines Siebenjährigen. Die Frage ist nun: Was passiert, wenn seine kleine Tochter Lucy acht wird?

Lucy ist normal begabt und weiß um die Andersartigkeit ihres Vaters. Als sie in die Schule kommt und bald besser lesen kann als Sam, reagiert sie zunächst mit Leistungsverweigerung, um ihren Vater nicht zu überflügeln. Als dieser ihr jedoch klar macht, wie viel Freude es ihm bereitet, eine kluge Tochter zu haben, stellt sie diese Versuche zwar ein, schämt sich vor ihren Schulkameraden aber für ihn, der so anders ist als andere Väter. In dieser Zeit werden die Behörden auf Sam und Lucy aufmerksam und entziehen ihm vorerst das Sorgerecht. Sam, völlig überfordert mit der Situation, hat unerwartetes Glück, als sich die erfolgreiche Anwältin Rita unentgeltlich seines Falles annimmt, um ihr Image aufzupolieren. Gemeinsam kämpfen sie um die Rückgabe des Sorgerechts, während Lucy bei Pflegeeltern unterkommt.

Eigentlich geht es in diesem Film aber gar nicht um Sam. Es geht auch nicht um Lucy. Es geht um Rita, die unsere Leistungsgesellschaft verkörpert: Schnell, ungeduldig, ans Siegen gewöhnt, das Lieben verlernt. Die Spannung ergibt sich aus den Gegensätzen, die aufeinander prallen: Sam ist zu langsam für Rita, versteht die vielen komplizierten Regeln dieser Welt nur zum Teil, kann dafür aber seine Gefühle zum Ausdruck bringen – etwas, das Rita erst in einem langen, schmerzhaften Prozess lernen muss.

Dass in dieser krassen Gegenüberstellung auch Klischees bedient werden, ist vermutlich unvermeidbar. Nett sind dabei aber einige Metaphern, welche die typischen Eigenschaften der Protagonisten überspitzen; so schimpft Rita ständig über die Sprachaktivierung ihres Autotelefons, das immer die Nummer des Büros wählt, wenn sie eigentlich  zu Hause anrufen will.

Viele Verweise gibt es auf die Beatles (vermutlich habe ich nur einen Bruchteil entdeckt, u. a. wird der berühmte Gang über den Zebrastreifen nachgestellt), für die Sam schwärmt. Immer wenn er sich in die Ecke getrieben fühlt, antwortet er mit Anekdoten von den Beatles, was zum Teil jedoch bemüht wirkt, da die hier beschworenen Gleichnisse oft weit hergeholt und nicht wirklich glaubhaft für einen Mann mit Sams Intelligenz wirken.

Die Stärken des Films liegen aus meiner Sicht vor allem in der Kameraführung. Meist wird eine Handkamera genutzt, die Sams emotionales Befinden stark unterstreicht, vor allem wenn er sich bedrängt fühlt und innere Not leidet. Auch Ritas Ungeduld und Hektik wird von der Kamera häufig zum Ausdruck gebracht. Das Licht unterstreicht Sams Befinden ebenso deutlich: Zu Hause, gemeinsam mit Lucy wirkt alles freundlich und warm; im Gericht sowie in Ritas Büro und Zuhause dominieren kalte, blaue Farben.

Trotz der eindeutigen Darstellung Sams als gütigen, auf seine Art weisen Mann, kann man als Zuschauer nicht umhin zu fragen, ob sein Kampf um das Sorgerecht für Lucy wirklich legitim ist. Seine Liebe für Lucy steht dabei vollkommen außer Frage, jedoch ist wohl klar, dass sich spätestens in der Pubertät Probleme ergeben werden, die zu begreifen er vermutlich nicht in der Lage ist. Der Film löst diese Problematik, indem Sam die zwischenzeitliche Pflegemutter seiner Tochter auch für die Zukunft um Hilfe bittet, eine endgültige Stellung wird diesbezüglich aber nicht bezogen.

Insgesamt ist I am Sam kein schlechter Film. Jedoch haben mich die Klischees der gestressten Businessfrau auf der einen und des weisen Tiefbegabten auf der anderen Seite extrem gestört. Die Moral, dass man sich durch die Hektik des Berufslebens nicht von den wirklich wichtigen Dingen im Leben entfernen darf, sondern zu einer natürlichen Langsamkeit zurückfinden und Gefühle (und das Ausleben dieser Gefühle) zulassen sollte, ist zwar gut und schön, doch wirkt recht dick aufgetragen. Dass Hollywood es wieder mal nicht vermeiden konnte, eine – sehr unrealistische! – Liebesgeschichte mit einfließen zu lassen, ist schade, denn die beiden Hauptdarsteller Sean Penn und Michelle Pfeiffer spielen beide so stark, dass der Film darauf hätte verzichten können. Die Geschichte an sich hätte das Potential gehabt, wichtige Thematiken anzusprechen, anstatt hier jedoch differenziert und kritisch zu sein, flüchtet sich der Film in ein banales Hollywodkonzept.

Noch eine kurze Anmerkung: Der Film sollte wirklich auf englisch geschaut werden, da Sean Penns schauspielerische Leistung von der deutschen Synchronisation nicht so richtig eingefangen werden kann.

1 Kommentar:

Carolin hat gesagt…

Oooh, da ist sie ja, die Beurteilung zu Ich bin Sam :). Wie schön... freut mich wirklich.

Ich muss sagen, dass ich den Film total gut fand und am Ende auch Rotz und Wasser geheult habe... aber wenn ich das hier so lese, muss ich auch dir recht geben. Ich habe einfach nicht so viel Ahnung von der Film und Medienbranche ;) deswegen ja auch die bitte, diesen Film zu kommentieren.

Allerdings möchte ich noch eine Szene erwähnen, die für mich eine der besten war. Sam sitzt, ich weiß schon gar nicht mehr wieso, in einem Kartenhaus. Er hat sich aus vielen vielen Karten ein Haus gebaut. Rita kommt zu ihm und spricht zunächst nur durch dieses Kartenhaus zu ihm. Es geht dann um Gefühle... und so wie das Kartenhaus letzendlich einbricht, so bricht auch Rita's Welt teilweise in sich zusammen.
Das fand ich ziemlich emotional...

Auf Englisch hab ich den Film leider nicht gesehen... vielleicht muss ich das noch nachholen.

Danke, dass du dir den Film angesehen hast :)

Lieben Gruß
Carolin