Mittwoch, 26. Januar 2011

Der größte Feind der Diktatur

So, nach einer Woche Sendepause melde ich mich zurück. Zunächst einmal möchte ich euch allen für euer Feedback danken. Da mir selbst noch gar nicht so klar ist, in welche Richtung sich dieser Blog entwickeln kann / soll / wird, hilft mir jeder Wunsch und jede Kritik weiter – schließlich soll das Ganze ja Spaß machen, sowohl mir als auch euch.

Eigentlich wollte ich ja in meinem nächsten Eintrag über einen ganz anderen Film schreiben, der allerdings immer noch sträflich vernachlässigt und ungesehen auf meinem Schreibtisch liegt. Stattdessen soll es heute um Fahrenheit 451 gehen. Schon wieder ein alter Schinken, ich weiß, aber in den 60ern und 70ern sind so viele mutige, tolle Filme entstanden, dass sich viele Regisseure heutzutage noch eine Scheibe davon abschneiden können, finde ich.

Fahrenheit 451 ist ein Film von Francois Truffaut aus dem Jahr 1966. Er ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ray Bradbury, doch letztendlich hat Truffaut wohl nur die Hauptideen des Buchs übernommen und ansonsten etwas Neues geschaffen, das mit der Romanvorlage nicht mehr so wahnsinnig viel zu tun hat (dabei muss ich mich auf Kritiker verlassen, die auch das Buch kennen, denn ich selbst habe es nicht gelesen).

Die Handlung spielt in einer fiktiven Gesellschaft, die diktatorisch geprägt ist und in der Bücher verboten sind. Die Feuerwehr ist nicht mehr dazu da, Feuer zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen. Einer dieser Feuerwehrmänner ist der Protagonist Montag, der ebenso wie seine Mitmenschen Befehle ausführt, ohne sie zu hinterfragen. Es ist eine traurige, konforme Welt, in der Individualismus und Gefühle verpönt sind und in der die Menschen verlernt haben, miteinander zu kommunizieren. Die Gesichter der Leute sind leer und sie selbst sind es auch. In einer Abfolge von kurzen Szenen sieht man eine Frau, die ihren Pelzmantel streichelt, eine andere, die ihre Brüste berührt, ein junges Mädchen, das ihr Spiegelbild küsst – einsam und isoliert geben sie sich selbst die Zärtlichkeit, die sie von anderen nicht bekommen.

Aufgerüttelt aus seiner Lethargie wird Montag erst durch eine junge Frau, die ihn anspricht und durch ihre lebhafte, spontane Art auffällt. Sie fragt ihn, ob er die Bücher, die er verbrenne, auch lese und ob er glücklich sei. Von der Neugierde gepackt, fängt Montag tatsächlich an zu lesen und die Bücher bringen sein Weltbild völlig ins Wanken.

Bücher, das Lesen an sich, sind in dieser fiktiven Welt mit großer Bedeutung aufgeladen. Es wird behauptet, sie würden beunruhigen, die Menschen dazu bringen, zuviel zu denken und zu fühlen, was doch letztlich nur unglücklich mache und zum Individualismus und somit zur Arroganz verleite.

Bücher als größter Feind der Diktatur: Sie bedeuten die Freiheit des Denkens, das Zweifeln an der Gegenwart und das Träumen von einer besseren Welt. Sie bedeuten Fühlen, Leben, Erinnern – alles Dinge, die ein diktatorischer Staat unterbinden muss, um sich selbst zu erhalten. Und es funktioniert. Die Menschen sind zwar unglücklich, aber rebellieren nicht.

Einziger Gegenentwurf zum repressiven Staat ist im Film die Welt der so genannten Buchmenschen, die dem Griff der Obrigkeit entronnen sind und in den Wäldern verstreut leben. Auch sie besitzen keine Bücher – sie sind selbst welche. Jeder lernt das Buch auswendig, das ihm oder ihr am wichtigsten erscheint und verbrennt anschließend das Buch selbst. Die Buchmenschen geben ihre Individualität und Persönlichkeit auf und werden zu lebenden Büchern. Damit stellen sie zwar ein Überdauern dieser Bücher sicher, bis die Zeit kommt, in der Bücher wieder erlaubt sind, jedoch ist das Leben der Buchmenschen keine echte Alternative zum herrschenden System. Auch sie haben ihre Individualität verloren, auch sie können nicht mehr miteinander kommunizieren. Sie haben sich selbst für die Bücher aufgegeben, doch an der Realität vermögen sie nichts zu ändern.

Während Bücher für Freiheit und eigenes Denken stehen, so erfüllt das Fernsehen im Film die Funktion der perfekten Propagandamaschinerie. Der Fernseher bildet das Zentrum der Wohnung (bemerkenswert ist der riesige Wandbildschirm in Anbetracht des Entstehungsjahrs des Films). Die Ansagefrau wird liebevoll „Fernsehkusine“ genannt und ist für Montags Frau eine Art Familienmitglied. Die Fernsehspiele werden live aufgeführt, die Schauspieler agieren steif und sprechen gestelzt. Auch die Thematik ist selten öde und handelt von so trivialen Dingen wie der Sitzordnung beim nächsten Familienfest. In einer Welt, in der Fantasie untersagt ist, bleiben eben nicht viele unverfängliche Themen. Auch der interaktive Aspekt des Fernsehens ist interessant: So kann Montags Frau bei einem Fernsehspiel von zu Hause aus mitspielen – wobei das „spielen“ sich hierbei auf das Aufsagen auswendig gelernten Texts beschränkt. Das Fernsehen zeigt also nicht nur, sondern schaut auch in die Wohnungen der Menschen hinein: Das perfekte Überwachungsinstrument.

Wo gerade die Rede von Montags Frau ist: Sie wird von der gleichen Schauspielerin gespielt wie Clarisse, die junge Frau, die Montag zum Lesen bringt. So gegensätzlich diese beiden Rollen sind, so gegensätzlich werden sie auch inszeniert. Montags Frau Linda ist passiv, lethargisch, wird meist im Profil gezeigt. Clarisse hingegen mit frechen kurzen Haaren ist spontan, schnell, lebhaft und wird meist frontal gezeigt. Schauspielerisch eine große Leistung von Julie Christie (übrigens ist sie auch wunderschön).

Zeit ist ein Thema, das immer wieder im Film aufgegriffen wird. Zwar gilt der Film als Science-Fiction-Film, doch hier zeigt sich wieder einmal, dass Genrebezeichnungen einen Film nicht wirklich greifen können. Während einige Dinge im Film tatsächlich als zukunftsweisend gelten können – so etwa das interaktive Fernsehen mit dem riesigen Wandbildschirm, die Schwebebahn, sogar In-Ear-Kopfhörer habe ich entdeckt -, so verwendet Truffaut auch bewusst andere Gegenstände, die aus längst vergangenen Zeiten stammen, wie etwa das antike Feuerwehrauto, die Kleidung, die Telefonapparate. In einer Szene wirft Montags Frau den alten elektrischen Rasierapparat fort, um ihn gegen ein für unsere Begriffe uraltes Schabemesser auszutauschen, das als letzter Schrei gilt. Durch diese Mischung aus alt und neu wird der Eindruck erweckt, die dargestellte Gesellschaft lebe gar nicht in unserer Zukunft, sondern vielmehr in einer parallelen Zeit.

Zeit und Erinnern, das sind zwei Dinge, die eng miteinander verknüpft sind. Aber in einer bücherlosen Gesellschaft ist das mit dem Erinnern so eine Sache – das Bewusstsein für die eigene Geschichte ist verschwunden. Montag weiß nicht einmal, dass die Feuerwehr einmal dafür zuständig war, Feuer zu löschen anstatt sie zu legen. Ohne Bücher, ohne Erinnerung, ohne ein Geschichtsbewusstsein ist diese fiktive Welt vollkommen „lost in time“, nur in der Gegenwart lebend.

Die Diktatur hat alles ausgelöscht, sogar die eigene Geschichte. Ersetzt hat sie es durch Rituale. Da alles, jeder Vorgang ritualisiert ist, so etwa die Bücherverbrennungen, ist der Zweck dieser Vorgänge nicht mehr ersichtlich: Das Ritual ersetzt den Zweck. Nur noch der korrekte Vollzug des Rituals ist von Bedeutung, die Bedeutung selbst ist verloren gegangen.

Es ist ein düsteres Bild, das Truffaut in Fahrenheit 451 zeichnet, aber dennoch ist der Film nicht deprimierend. Da der Protagonist Montag dem Zuschauer relativ fremd bleibt, identifiziert man sich nicht mit ihm, sondern schaut ihm zu und hat so die Möglichkeit, seine Erlebnisse mehr zu reflektieren, als er selbst es tut. Und man lernt, die eigene Gegenwart mit allen Rechten und Pflichten als freier Bürger und der daraus resultierenden Verantwortung neu wert zu schätzen.
Truffaut, der selbst ein bekennender Bücherwurm war, hat einen Film geschaffen, der das Medium Buch mit immenser Bedeutung auflädt, ihm symbolhaften Charakter verleiht und es gar zum Träger all jener Eigenschaften macht, die eine Demokratie und ein freies, selbst bestimmtes Leben auszeichnen. Inwieweit er damit zu weit gegangen ist, darüber kann gestritten werden, auch ich bin in dieser Frage unschlüssig.

Trotzdem ist bin ich ein großer Fan dieses Films und bin gespannt auf eure Meinungen.

3 Kommentare:

Carolin hat gesagt…

Hi Ute!
Das war ja mal eine ausführliche Beschreibung. Obwohl ich mich eher zu der nicht-lesenden Bevölkerung zählen würde, hast du mein Interesse für diesen Film total geweckt und wer weiß, vielleicht würde ich dann auch mehr lesen, wenn ich lesen als Freiheit begreife.
Ich frage mich allerdings, wie der Titel zustande gekommen ist. Und glaubst du, dass der Film Fahrenheit 9/11 sich den Titel etwas abgeguckt hat? Ich kenne beide Filme nicht und weiß gar nicht, ob die überhaupt vergleichbar sind, aber das war so mein erster Gedanke.
Lieben Gruß
Carolin

Zeitrutsch hat gesagt…

Hallo Carolin,
freut mich, dass dein Interesse geweckt wurde :).
Der Titel Fahrenheit 451 bezeichnet die Temperatur, bei der Bücher anfangen zu brennen. Tatsächlich hat sich Michael Moore (laut Wikipedia) an diesen Film angelehnt, als er seine Doku Fahrenheit 9/11 nannte. Seiner Aussage zufolge steht 9/11 für den Moment, in dem Freiheit anfängt zu brennen.
Ray Bradbury, der Autor des Buches Fahrenheit 451, hat dazu angeblich gesagt: „Michael Moore ist ein dämlicher Drecksack. So denke ich über ihn. Er hat meinen Titel geklaut und die Zahlen ausgewechselt, ohne mich jemals um Erlaubnis zu fragen.“
Soviel dazu!

Deni hat gesagt…

Hab den Film während meiner Schulzeit im Religionsunterricht gesehen - was auch immer der Film da zu suchen hatte... Jedenfalls hat er mich damals, trotz meines Alters, schon sehr beeindruckt. Muss wohl auch daran liegen, dass ich selber so ein Bücherfetischist bin.